Social Media sind keine Teilhabe am öffentlichen Diskurs

Demokratie entstand, ihrer Ursprungslegende westlicher Zivilisation nach, auf der Athener Agora. Dem Marktplatz.

Hier handelten Menschen nicht nur mit Gütern, hier verhandelten sie auch politische – die Gemeinschaft betreffende – Themen.

Soziale Medien haben sich gerne als moderne Marktplätze der Ideen präsentiert.

Es gibt nur ein kleines Problem…

Die Zivilbüros der Agora (und im Hintergrund, die Akropolis) von Athen, Foto von Georgios Liakopoulos
Die Zivilbüros der Agora (und im Hintergrund, die Akropolis) von Athen, Foto von Georgios Liakopoulos, Creative Commons-Lizenz

Social Media versammeln Menschen nicht wirklich, um Entscheidungen zu fällen.

Sie machen bloss Geschäfte.

Unsere angebliche Teilhabe am politischen Prozess durch die Äusserung unserer Ansichten und Meinungen dort ist ein Missverständnis.

Es gibt damit gleich drei Probleme:

Social Media als Marktplatz an (schlechten) Ideen

Wir alle haben unsere eigenen Gründe, auf Social Media zu sein. Viele von uns nutzen sie wahrscheinlich, einfach weil andere das auch tun, wir also nicht aussen vor bleiben wollen.

Selbst das ist durchaus ein guter Grund. Natürlich wollen wir Teil von etwas sein, wovon so gut wie jeder ein Teil zu sein scheint. Wir sind schliesslich soziale Wesen.

Wenn Familie und Freunde auf diesen Plattformen zu finden sind, dann sind sie auch eine einfache Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Nicht gerade schrecklich.

Die Art, wie soziale Medien uns über Dinge, die uns interessieren, informiert halten kann, ist auch nicht gerade schlecht.

Soziale Medien sind in ihrer einfachen Zugänglichkeit, den Verbindungen und dem Gefühl, ständig Neues zu entdecken, besonders attraktiv.

Man muss nicht viel dafür tun; nicht einmal entscheiden, worüber man gerne mehr wüsste. Alles wird einfach in den Feed gespielt.

Damit man auch ja nichts verpasst wird alles, wenn man sie nicht aktiv ausschaltet, auch gleich über Benachrichtigungen gemeldet.

Und alles wird einem so aufgedrückt, damit man bloss nicht zu lange weg bleibt. Damit man „engagiert“ bleibt.

Für die Publizierenden und die Betreiber von Social Media ist das beste allerdings das, was auch immer einen am „engagiertesten“, am aktivsten, hält.

Was die grösste Zahl an Menschen am leichtesten extrem aktiv macht, das ist alles, was sie aufregt. Was emotional trifft, auf so eine Art, dass du das ganz sicher nicht wirst glauben können – und es darum wahrscheinlich sofort, entrüstet oder erstaunt, mit anderen weiter teilen willst.

Es kommt nicht darauf an, ob wir das zur Unterstützung oder zur Unterdrückung teilen. Hauptsache, es bringt uns dazu, wieder etwas anzuklicken.

In ihrer Einfachheit und Emotionalität sind Social Media für viele von uns geradezu das Internet geworden.

Ich hätte nicht gesagt, dass ich Social Media zu viel nutze – bis mir dann aufgefallen war, dass ich schon lange nichts mehr im Web gesucht hatte (ausser vielleicht Produkte von Interesse).

Facebook oder Twitter hingegen, das war es, was ich im Zweifelsfall geöffnet habe. Man will doch informiert sein. Man ist damit aber hauptsächlich vom echten Lernen und Leben abgelenkt.

Am Social Media-Marktplatz der Ideen, da ist die Wahrheit langweilig. Fakten sind ermüdend. Lernprozesse sind zu langwierig.

„Nachforschungen“ sind nur im QAnon-Sinne aufregend, wenn man immer tiefer in das Loch an Verschwörungstheorien und Dummheit stürzt.

Selbst, wenn der eigene Feed nicht annähernd so schlimm ist, gute Ideen und tiefergehende Betrachtungen kommen selten an die Oberfläche, eher schon der (Ab)schaum.

Die Teilhabe – an Brot und Spielen

Ob man nun meint, auf der Spur der einzigen echten Wahrheit zu sein, über die die „Mainstream-Medien“ nie reden würden oder ob man gegen solches verschwörungstheoretische Geschwurbel anreden möchte, man wird von diesem Mahlstrom einfach mitgeschleppt.

Jeder Eintrag, jedes „Warte, da liegt jemand im Internet im Falschen!“ fühlt sich an, wie ein wertvoller Beitrag.

Man kommuniziert mit Freunden, diskutiert Meinungen, wird mit Einsichten konfrontiert, lernt, debattiert! Sicherlich ist das eine gute Sache?

Politik war uns doch grossteils angetan worden. Die Entscheidungen wurden im stillen Kämmerlein gefällt; das jetzt ist also sicherlich besser, direkter!

Nur dumm…

Ein Beitrag auf Social Media ist aber dummerweise nur eine erhobene Stimme.

Die lautesten solchen Beiträge, die wir jetzt erhalten, sind zunehmend keine Debatten und Diskussionen, die auch nur in Richtung eines gemeinsamen Verstehens führen sollen. Sie sind Schreiduelle.

Ohne noch gemeinsamen Boden an Tatsachen zu finden, im Glauben, die „andere Seite“ wäre kaum mehr menschlich, könnten wir genausogut Propagandaposter an der Wand anschreien, gegen Maschinen zetern.

Tatsächlich könnte genau so etwas sogar der Fall sein. Wir verschwenden Energie mit dem zornigen Tippen von Antworten, reden dabei aber gegen Trolle an. Vielleicht sogar wirkliche KI-Trolle, die nur wie verrückte Menschen klingen.

Der Beitrag, den wir damit leisten, ist also keiner zum politischen Diskurs, zum Verstehen und Lernen, zur Demokratie.

Es ist bestenfalls ein Beitrag für unsere jeweils eigenen kleinlichen sozialen Gruppen. Womöglich ist er aber auch nur ein weiterer Groschen in den Gewinnen der Social Media-Unternehmen.

Status-Gerede für den Status Quo

Natürlich sind auch schon soziale und politische Bewegungen durch Social Media zusammengekommen.

MeToo, Black Lives Matter, Fridays for Future.

Es ist nicht alles schlecht.

Da tut sich was…

Soziale Medien funktionieren allerdings immer noch wie eine Weltuntergangsmaschine, die nur das Trennende ständig weiter verstärken soll und nur eines unterstützt: Ihren eigenen, ständig tieferen, Griff nach unseren Gedanken und Gebaren.

Wer genug positives für sich in Social Media gefunden hat und diese kontrolliert nutzen kann, statt sich von ihnen gängeln zu lassen, muss nicht unbedingt weg von Social Media.

… aber nicht unbedingt gutes…

Jeder Eintrag darauf, selbst wenn er politisch, von Sozialgerechtigkeit oder sonstigem motiviert ist, ist aber leider kein grosser Beitrag zu dem Diskurs, den wir brauchen.

Schwarze Quadrate auf Instagram sind schlussendlich immer noch nichts anderes, als schwarze Quadrate. Ob sie in Unterstützung von Black Lives Matter gepostet wurden oder einfach nur, um bei dem neuesten Trend auch wieder mit zu machen, ist schlussendlich egal. Sie werden nichts ändern, wenn nicht auch anderes geschieht.

… wenn alles Bla-bla ist

Das Reden über den Diskurs könnte tatsächlich leicht ein Zeichen dafür sein, wo wir in die Irre gehen:

Alles ist auf Gerede reduziert worden.

Um aber ernsthaft einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, darf man nicht nur reden. Besonders nicht auf Social Media, wo man gar nicht mehr sagen kann, ob etwas ernsthaft, scherzhaft, als Trolling oder irgendwie ganz anders gemeint war.

Was man tun muss

Wir müssen für etwas stehen und uns entsprechend verhalten. In der realen Welt.

Nicht mit Protestrufen, nicht mit Waffen – und ganz sicher nicht mit Protestrufen und Waffenverherrlichung auf sozialen Medien! – sondern im Ändern von Systemen, Schaffen von Besserem, Bauen von realen Dingen.

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