Wurzeln des japanischen Zen… im Baoning Tempel im ländlichen Hunan

Das moderne China ist nicht gerade als religiös bekannt, und wenn wir an etwas wie Zen-Buddhismus denken, vergessen wir leicht auf dessen Wurzeln in China.

Umso überraschter war ich, tief im ländlichen China einen Tempel zu finden, der anscheinend grosse historische Bedeutung hatte – und komplett unbekannt ist.

Der Tempel, von dem ich rede, ist der Baoning Chan Si (Baoning Chan/Zen Tempel) im Landkreis You von Hunan.

Ich bin von ihm fasziniert, seit ich ihn zum ersten Mal „entdeckt“ habe. Sprich, seit mich mein Schwiegervater dorthin brachte.

Die Lage des Baoning Tempels

You County gehört (jetzt) zum Verwaltungsbereich von Zhuzhou; Zhuzhou ist, gemeinsam mit Changsha (der Hauptstadt der Provinz Hunan) und Xiangtan eine der der drei „Geschwisterstädte“ in der Mitte von Hunan.

Jiubujiang, die Heimatstadt meiner Frau (eigentlich eher ein Dorf), hat sich zu einem touristischen Ziel entwickelt – zumindest für chinesische Touristen, und Besucher werden dazu ermuntert, auch den Tempel zu besuchen – oder zumindest gibt es für Besucher des nahen Stausees, der die wesentliche Sehenswürdigkeit darstellt, ein Strassenschild in Richtung Baoning Tempel.

Huangfengqiao, ein anderes Dorf, liegt noch näher am Tempel.

Diese Orte erwähne ich, einerseits, damit man die Lage des Tempels finden könnte, andererseits um klarzumachen, dass man wohl keine Ahnung davon hat, wo diese Gegend ist.

Selbst Chinesen haben typischerweise von den kleineren Orten hier nichts gehört (wenn sie nicht gerade in der Nähe leben oder Beziehungen hierhin haben); Chang-Zhu-Tan, die Agglomeration von Changsha, Zhuzhou und Xiangtan wäre schon weithin bekannt, aber diese Städte sind nicht gerade klein und unbedeutend (zumindest soweit das auf Städte in der Provinz zutrifft).

Nicht-Chinesen kennen meistens gerade einmal Changsha, wenn überhaupt (und Changsha wäre, wie erwähnt, die Hauptstadt der Provinz Hunan).

Das Unwissen um die Gegend erstreckt sich auch auf den Tempel, und hier geht es noch weiter, weil es wie so oft auch andere Tempel mit demselben Namen gibt, die bekannter sind und sich ganz woanders befinden.

Das geht bis dahin, dass es angeblich (laut Wikipedia) einen Baoning Tempel in Changsha geben soll, den aber schon Google Maps nicht findet.

Der Baoning Tempel in You County ist auf Google Maps zu finden, aber hauptsächlich, weil ich Fotos davon hinzugefügt habe; Wikipedia weiss nichts von ihm.

ChinaWiki.net ist eine von wenigen Websites, die etwas über diesen Tempel zu sagen haben.

Die Geschichte des Baoning Tempels und seine Beziehung zu Zen

Die Lage des Tempels scheint ziemlich ungewöhnlich.

Er liegt auf keinem heiligen Berg, an keinem grösseren Fluss, keiner alten Handelsstrasse. Er ist so weit weg von wichtigen Orten oder einfach nur wichtigen Wegen oder Attraktionen, wie man nur sein kann.

Aber gut, vielleicht war genau das einer der Anziehungspunkte: Weit weg zu sein von allem.

Der Baoning Si vom davor gelegenen Teich gesehen
Der Baoning Si vom davor gelegenen Teich gesehen

Ein Grund für die Etablierung des Tempels an seinem Standort ist wohl ein ganz einfacher: Der Baoning Chan Si soll von einem buddhistischen Mönch gegründet worden sein, der ein Einheimischer von You County war.

Wie so oft allerdings sind die Dinge etwas komplizierter, verlauft die Geschichte im Dunst der Zeit.

Die Gründung des Tempels soll auf das Jahr 751 zurückgehen, und er soll einer der Stammtempel der Caodong-Schule des Chan-Buddhismus sein.

Diese buddhistische Schule hat allerdings so ihre geschichtlichen Besonderheiten: Offiziell gegründet wurde sie von Caoshan Benji und seinem Lehrer, Dongshan Liangjie (von denen sie wahrscheinlich auch den Namen Cao-Dong bekam) etwas nach 850.

Diese zwei buddhistischen Meister lehrten in Jiangxi und Hunan; hier entwickelte sich auch die Südliche Schule des Buddhismus.

Die Geschichte der Cao-Dong Schule geht allerdings bis auf das Jahr 750 zurück; die Schule sieht ihre Wurzeln bei Huineng, der 638-713 in Guangdong lebte – und zu dessen Schülern der Gründer des Baoning Chan Si gehört haben soll.

Wer genau allerdings die bekannten Mönche/Meister, die hier unterrichteten (oder unterrichtet wurden) gewesen sein sollen, welche Rolle der Tempel in der Entwicklung des (Cao-Dong) Chan/Zen-Buddhismus spielte, bleibt  unklar.

Schon Shitou Xiqian (700-790), der zweite Meister in der Cao-Dong-Stammlinie nach Huineng, in der später eben Dongshan Liangjie und Caoshan Benji (als wahre Gründer dieser Schule) stehen, soll am Nantai Si (Tempel des südlichen Gipfels) auf Hengshan (Nanyue, dem südlichen heiligen Berg des chinesischen Buddhismus, auch in Hunan gelegen) gelehrt haben; dieser Tempel gilt so als einer der Ursprungstempel der Cao-Dong-Schule.

Frontansicht des Baoning Tempels
Frontansicht des Baoning Tempels

Über den Baoning-Tempel findet sich in sämtlicher Literatur, die ich kenne, kein Hinweis auf eine derartige Rolle, ausser in kurzen Verweisen darauf, dass eine japanische Delegation (schon im Jahr 1983) hier ihrer spirituellen Vorfahren gedenken wollte.

Zumindest ein Teil dieser Geschichte ist wenigstens, dank der Verbindung des Baoning Chan Si mit der Cao-Dong Schule, eindeutig geworden: die japanische Schule des Buddhismus, die ihre Wurzeln hier hat, ist keine geringere als Soto-Zen, die grösste der japanischen Schulen des Zen.

Sie wurde nach 1227 von Dogen Zenji gegründet, einem japanischen Mönch, der in China (mit Tiantong Rujing, einem späteren Meister der Cao-Dong-Schule, am Qingde-Tempel in Ningbo, Zhejiang) studiert hatte

Was aus der Geschichte bleibt

Wie so oft verliert sich die Geschichte in der Zeit, aber die drei Naturwunder des Baoning-Tempels verweisen immer noch in die Geschichte zurück: Es gibt hier einen Kampferbaum, das Guanyin-Taro und eine Quelle, die alle 1000 Jahre alt sein sollen.

Eine lange Zeit – und tatsächlich doch nicht lange genug, um schon hier gewesen zu sein, als die auf Gedenktafeln an einem Pfad hinten um den Tempel herum (und damit seltsamerweise gleich neben einem taoistischen Tempel, der sich gleich  neben dem buddhistischen Tempel befindet) verewigten Mönche hier tätig waren: Deren Gedenktafeln verweisen alle auf die Zeit um 700-800!

Der Anfang des Pfads zwischen Baoning Tempel und dem taoistischen Tempel daneben
Der Anfang des Pfads zwischen Baoning Tempel und dem taoistischen Tempel daneben

Am Fuss dieses Pfades findet sich eine grössere Gedenktafel, die an die japanischen Mönche, die hier Chan-Buddhismus, eben den Ursprung des japanischen Zen, studiert haben.

Das Denkmal für die japanischen Mönche bzw. Schüler am Baoning Tempel
Das Denkmal für die japanischen Mönche bzw. Schüler am Baoning Tempel
Erinnerungstafeln an Mönche, die hier gelebt haben
Erinnerungstafeln an Mönche, die hier gelebt haben

Auch auf diesem Weg war eben der tausendjährige Kampferbaum zu finden – und ein Hinweisschild auf eines der (anderen) drei Wunder des Baoning Tempels, die Putong-Stupa.

Das zweite Mal, das die japanische Delegation (den Geschichten, die mir zugetragen wurden) zum Baoning-Tempel kam, sollen sie diese Stupa errichtet (oder in Anbetracht ihrer angeblich grösseren, historischen(?) Bedeutung wohl eher restauriert) haben, nachdem sie dieses Mal die Einheimischen davon überzeugen konnten, dass sie tatsächlich auf den Spuren ihrer spirituellen Vorfahren hier wären.

(Beim ersten Mal soll man ihnen das nicht geglaubt und sie nach Hause geschickt haben.)

Ich konnte die Stupa allerdings nicht finden.

Der Pfad, den entlang das Hinweisschild zeigte, war dermassen überwachsen und von umgefallenen Bäumen blockiert, dass ich mich nicht traute, ihm weiter zu folgen.

Meine Frau wartete weiter unten auf mich und hatte mir nur zu viel von den Giftschlangen, die es hier in den Bergen gäbe, erzählt…

Menschen im modernen Tempel

Der Weg, den meine Frau und ich durch das Tempelgelände nahmen, zunächst einmal, um gute Besucher zu sein und im Tempel zu beten, war ohnehin interessant, und das insbesondere wegen der Menschen, die wir trafen – die ein sehr seltsames Bild abgaben.

Die Haupthalle des Baoning Tempels
Die Haupthalle des Baoning Tempels

Zuerst war da einmal ein alter Mann. Alt ist nicht Beschreibung genug; er schien Urgestein zu sein. Halb blind, natürlich nur lokalen Dialekts fähig und das auch noch mit undeutlicher Aussprache. Selbst meiner Frau fiel es schwer, seine Worte zu entziffern; klar wurde daraus nur, dass er wirklich schon lange, lange Zeit lebte.

Andererseits trafen wir auf ein Paar mittleren Alters, das einen eher wohlhabenden Eindruck machte – und ziemlich fromm erschien. Sie halfen uns fachkundig mit dem Räucherwerk und dem „Höllengeld“… und als wir den Mann später noch einmal sahen, stellte sich heraus, dass er etwas über die Japan-Verbindung des Tempels wusste; er verwies mich auch auf den Pfad vorbei am Gedenkstein an die japanischen Mönche, den ich schon bei einem früheren Besuch bemerkt, aber nicht in seiner Bedeutung erkannt, hatte – und den Weg hatte ich mich damals auch nicht weiter entlang gewagt.

Der taoistische Tempel neben dem Baoning Si
Der taoistische Tempel neben dem Baoning Si

Inmitten des Haupthofs des Tempels gab es einen anderen Hinweis auf menschliche Nutzung, in der Form einer lokalen Art von Sichuanpfeffer und anderen Kräutern, die dort zum Trocknen in der Sonne lagen.

Eine Variante von Sichuanpfeffer und andere Kräuter, zum Trocknen in die Sonne gelegt
Eine Variante von Sichuanpfeffer und andere Kräuter, zum Trocknen in die Sonne gelegt

Vor dem Teich vor dem Tempel hatte ich, auf einem früheren Besuch, auch schon einmal blanchiertes Chilli, ausgebreitet um in der Sonne zu Hunans typischem bai lajiao („weissem Chilli“) zu bleichen, gesehen.

Blanchiertes Chilli vor dem Baoning Si
Blanchiertes Chilli vor dem Baoning Si

Wieder in Richtung Ausgang gingen wir durch die Gebäude an der Seite des Tempels, unterhalb des taoistischen Tempels. Jemand am Eingang hatte uns gesagt, wir sollten uns die ansehen… und heraus stellte sich, dass dort eine Familie wohnte.

Gleich unterhalb der ersten Stiege fanden sich die typischen alten Kohlebriketts, die ich jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Ein alter „Herd“ für sie war dort auch noch zu finden.

Kohlebriketts chinesischer Art unter einer Stiege
Kohle“briketts“ chinesischer Art (rund, mit Löchern). Das Metallgefäss hinter dem Papierkorb ist der „Herd“ dafür!

Im nächsten Hof spielte ein herziges Kind mit seinem Spielzeuggewehr, seine Mutter war in der Nähe am Kochen. Sie sahen nicht so aus, als hätten sie schon viele Ausländer gesehen, aber unser plötzliches Auftauchen schien sie auch nicht sonderlich zu stören.

Der Bub plauderte einfach mit uns und zeigte uns seltsamem „Onkel“ und „Tante“ Paar den Weg weiter. Nach so vielen Begegnungen mit Leuten, die andere auf mich hinweisen und mich anstarren mussten, war das eine sehr süsse Begegnung.

In typischer Mikroexploration-Manier habe ich mich, wie man bemerkt, mit dem Baoning Chan Tempel weiter beschäftigt, mehr dazu gelernt, was ich zuvor gesehen hatte. Ich weiss ein wenig mehr, habe ein paar mehr Fotos vom Tempel, den alten Erinnerungstafeln und neu hinzugefügten Hinweistafeln.

Klarheit über die historische Bedeutung des Baoning Si besteht damit noch immer keine, aber zumindest etwas mehr Wissen.

Die Cao-Dong-Schule des Chan/Zen war kein so grosser Freund der Koan wie der einfachen Meditation im Sitzen, in Kontemplation – und es scheint ziemlich passend, dass das Lernen um den Tempel ähnlich stiller Beschäftigung bedurfte.


Quellen:

ChinaWiki.net „Baoning Temple“ https://www.chinawiki.net/thread/48/22032.html

James Mitchell, Soto Zen Ancestors in China https://zendogen.es/textos-zen-pdf/Soto-Zen-Ancestors-In-China-James-Mitchell.pdf

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